Michael: Hallo Klaus.
Klaus: Ja, Hallo Michael! Wie geht’s Dir?
Michael: Mir geht’s gut, wie geht’s Dir?
Klaus: Ach! Schlecht.
Michael: Ah, sehr gut! Wir wollten über Gedächtnis sprechen.
Klaus: Ja, ich erinnere mich.
Michael: Ich habe folgendes Problem. Etwas, das mir nicht ganz klar ist. Vor kurzem habe ich die Realität der Massenmedien gelesen von Niklas Luhmann. In den Monaten vorher Gesellschaft der Gesellschaft. Luhmann hat ja seine Theorie in den 90er Jahren geschrieben, also in einer Zeit, wo Internet noch nicht eine so große Sache war, wie das heute der Fall ist. Wenn ich mir seine Beschreibungen des Systems der Massenmedien durchlese komme ich zu der Überlegung, dass er da eben nur das System der Massenmedien beschreibt und man das unterscheiden könnte von massenmedialer Kommunikation, wie sie durch das Internet jetzt stattfindet. Im Zusammenhang mit dem System der Massenmedien beschreibt er Programmbereiche, die man von den klassischen Massenmedien kennt. So etwas wie Werbung, Unterhaltungssendungen, Berichte und Nachrichten. Das was man klassischerweise kennt aus klassischen Massenmedien. So wie ich es lese, wobei es sein kann das meine Interpretation da anders ist, als es die anderer wäre, handelt es sich bei den Programmbereichen um eine Gedächtnisform massenmedialer Kommunikation. Die Programmbereiche werden aus dem Code der Massenmedien abgeleitet. Aus der Unterscheidung Information / Nicht Information und leitet sich daraus ab um Selektion des Informationschaos möglich zu machen. Um Unterscheidungen einführen zu können, weil man natürlich viel viel mehr Sachen als Information auffassen kann, als sie dann tatsächlich in den Massenmedien darstellbar sind. So wie ich es sehen würde, kann man das schon gegenüberstellen auf die Art und Weise wie Stefan Seydel beispielsweise vormacht, mit den vier Kulturformen Sprache – Schrift – Buchdruck – Computer. Wenn man sich anschaut, wie Gedächtnis jeweils Gedächtnis funktioniert, unter diesen jeweiligen Primärformen medialer Unterscheidungen, wie sie in der Gesellschaft zu bestimmten Zeitpunkten vorherrschten. Diese historischen Gedächtnisformen findet man bei Luhmann eben auch, vorwiegend für Sprache und Schrift. Bei Sprache gibt es eine Art soziales Gedächtnis in Form von Inszenierungen und Objekten. Noch eingängiger dürfte es bei Betrachten des sozialen Gedächtnisses für Schrift sein. Dafür gibt es Semantik. Die Kontingenz dessen was geschrieben wird und wie geschrieben wird, wird durch Rückgriff auf das eingeschränkt, was vorher geschrieben wurde. Das ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern gemeint ist die Art und Weise schreiben zu können, was Semantik ist. Für die Buchdruckgesellschaft gibt es bei Dirk Bäcker dafür das unterstellte Entscheidungskalkül, eine allgemeine Rationalität. Die Annahme, durch die Möglichkeit des Verfügbarhaltens von Wissen in Büchern zu einer Vervollkommnung von Sinn zu gelangen. Erst auf dieser Basis macht doch auch Kritik erst Sinn, oder? Wenn auf einen Punkt der Vervollkommung hingearbeitet wird.
Klaus: Das glaube ich nicht. Kritik ist eine zivilisatorische Kompetenz. Kritik leistet etwas sehr erstaunliches. Wir pflegen das offene Wort, etwa wenn Du Unbekannte triffst, sei es auf einer Tagung, in einer Gruppe, überall. Eine vergleichende Perspektive würde ergeben, dass das offene Wort, das freie Wort, in der Regel, wenn man es zeithistorisch betrachtet, eigentlich nur unter Vertrauten und Bekannten möglich ist. Du, in der modernen Gesellschaft, kannst das freie oder das offene Wort auch da äußern, wo Du es mit Leuten zu tun hast, die Du nicht kennst, die Dich nicht kennen und die Du vielleicht nie wieder treffen wirst und nicht nur durch Schreiben, sondern auch durch Sprechen. In einer Gruppe unter Anwesenden pflegen wir das freie Wort. So etwas zu können und so etwas auszuhalten und sich auch zu trauen so etwas zu tun finde ich schon sehr besonders. Das ist sehr selten und nicht normal. Wir können das. Das leistet Kritik. Kritik ist entstanden durch die durch keine Notwendigkeit begründete Veranlassung, sich ansprechbar machen zu lassen auf die eigene Handlung, mit dem Satz: „Ich verantworte das.“. Das kannst Du nur dann, wenn Du die Folgen vorhersehen kannst. Denn sonst nicht. Dazu brauchst Du Freiheit und diese Freiheit wiederum kannst Du Dir nicht selber geben, sondern die musst Du Dir von anderen gewähren lassen. Der Witz daran ist, dass das gegenseitig geschieht. Wenn so etwas zustandekommt, also dass die Beteiligten sich Freiheiten oder Rechte gewähren, muss etwas Drittes involviert sein, was so etwas herstellt. Also etwas herstellt, das jeder Einzelne so nicht herstellen kann. Ich kann nicht garantieren, dass Du mir Freiheiten gewährst und Du kannst es auch nicht. Wenn wir es aber dennoch voneinander erwarten können, dann muss etwas Drittes involviert sein, nämlich die Gesellschaft. Das ist Kritik. Kritik ist die Fähigkeit der Duldsamkeit für Ansprache und die Bereitschaft sich auch auf die ungerechtfertigte Ansprache einzulassen. Inklusive auch der Möglichkeit, dem stattzugeben. Also zu sagen: „Du hast Recht. Ich habe mich geirrt.“. Oder auch „Ich muss nochmal nachdenken.“, auch das gehört zu Kritik. Oder eben auch Nein zu sagen. Das ist eine zivilisatorische Kompetenz, die wir geschenkt bekommen. Wir im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert bekommen diese soziale Struktur, die so etwas ermöglich einfach nur geschenkt. Wir haben dafür nichts, aber auch garnichts getan. Wir sind die Erben. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas noch im 18. Jahrhundert so selbstverständlich garnicht war und das ist etwas, was ich an der Schrift von Luhmann schlecht finde. Gerade schlecht finde ich, nicht nur in der Realität der Massenmedien, dass er diesen Punkt nicht benennt. Das soll kein Vorwurf sein. Dieses unwahrscheinliche Gelingen von Kritik, die in den Massenmedien ja ganz wichtig ist. Wo die Abwesenden nicht miteinander, sondern übereinander kommunizieren.
Michael: Ich hätte eigentlich Kritik in eine Zeit vor dem 19. Jahrhundert gesetzt. Gerade in eine Zeit vor den Massenmedien. Ich habe es so verstanden, als würdest Du die persönliche Freiheit als zurechenbar auf Personen beziehen.
Klaus: Ja, sicher. Wie kann das zustandekommen? Massenmedien sind tatsächlich mit dem Buchdruck entstanden. Am Anfang bedeutungslos, was bei Gutenberg geschehen ist im 15 Jahrhundert. Für das 16. Jahrhundert wird gerne erzählt, dass der Reformationsdiskurs mit Martin Luther ja schon ein Effekt von Massenmedien gewesen sei. Das stimmt einerseits, aber andererseits ist die Bedeutung doch eine andere. Die Reformation hat eine andere Wirkung gehabt. Die Reformation war eben nicht massenmedial, sondern das war Kirchenorganisation. Es wurde ein Machtapparat organisiert. Das ging zwar nicht ohne Buchdruck, sicher, aber was fehlt ist die historische Entwicklung. Das es schwach und schlecht angefangen hat. Das es uninformiert angefangen hat. Das ist doch klar. Für Martin Luther gab es den Teufel noch, wenn er gesehen hatte, dass seine Schriften nachgedruckt wurden, was er nicht für möglich gehalten hatte, ohne Namensnennung oder so etwas, so dass er nur auf den Teufel schließen konnte und nicht auf die Verschlechterung der Informationssituation durch Massenmedien. Massenmedien verschlechtern Informationssituation und motivieren dann das Zustandekommen der Verbesserung der Informationssituation. Das geht nur durch Organisation. Deshalb haben sich irgendwann Verlage gegründet. Dann kam, dass die Verlage ein Impressum eingeführt haben, also sagten, wer Autor und wer Verleger ist. Wo wohnen die, wo ist das Buch gedruckt worden. Man hat angefangen das zu standardisieren, um auf diese Weise die Informationssituation zu verbessern, aber dadurch sind eingentlich nur diese Organisationen verbessert worden. Beziehungsweise sind die Organisationsabläufe erkannt worden. Dann wurde das ganze verrechtlicht, aber dann ist die Informationssituation noch immer nicht verbessert worden, sondern es ist nur die Produktivität der massenmedialen Produktion gestiegen. Am Anfang waren es Flugblätter, dann auf einmal Wochenzeitungen oder Monatszeitschriften. Erst ganz spät im 19. Jahrhundert auf einmal Tageszeitung. Jeden Tag die Zeitung, das war schon genial. Nicht etwa nur Flugblätter jeden Tag, sondern Zeitungen, die bereits vier Seiten hatten. Dieser ganze Voraussetzungsreichtung. Das ist, was bei Luhmann fehlt. Zu erklären, dass das selbst eine Evolution ist, die durch Gebrechlichkeit und Schlechtinformation geprägt war und die eben auf der anderen Seite Organisation ermutigt hat um die Informationssituation zu verbessern und damit eben auch Kritik ermutigt hat. Kritik wird nicht nur massenmedial kommuniziert, sondern eben auch in Organisation. Dazu brauchst Du Rechte und vorallem auch die Verweigerung dieser Rechte. Das ist das, was wir als autoritären Staat kennen und später in der Übersteigerung den Faschismus. Der gehört auch dazu. Man kann nicht einfach sagen, dass eine Fehlentwicklung war. Man kann nicht sagen der Faschismus war falsch und gehört da nicht hin. Nein, das war im Rückblick betrachtet eine Übersteigerung der Verweigerung dieses Lernprozesses, dem dann irgendwann stattgegeben wurde. Zu sagen, jetzt lässt sich Staatsorganisation auf ihre selbstgemachten Widersprüche ein und verschleiert die nicht. Bei den Massenmedien sehen wir nun gegenwärtig, das ein Zugeständnis, das die Staatsorganisation bereits gemacht hat, also eigene Widersprüche und Selbstwidersprüche durch Feindschaft oder Krieg oder Gewaltandrohung zu verstecken und zu verheimlichen, fehlt. Auch die haben etwas zu verstecken und zu verheimlichen. Etwas das sie verdecken. Sie gestatten keinerlei Ausweg. Die Frage ist dann, was haben sie zu verstecken?
Michael: Du meinst jedenfalls, dass das was sie verstecken durch Professionalitätsmagie versteckt wird?
Klaus: Ja. Diese Professionalitätsmagie kannst Du sehen, wenn Du ihr Scheitern feststellst. Etwa diese Pannenvideos bei der Tagesschau oder insbesondere bei Livesendungen. Bei Wetten dass…? hat man das ständig gesehen. Ständig klappte etwas nicht. Auch das konnte widerum in einer Livesendung professionalisiert werden. Was haben sie eigentlich zu verstecken? Man könnte doch sagen: „Mein Gott, sie sind halt nicht gepudert. Sie haben halt die Haare nicht gewaschen. Sie haben halt ein Loch in der Hose.“ Na und? Warum wirkt das obszön oder lachhaft? Warum wirkt das empörend oder lächerlich? Warum kann man nicht sagen, dass Du halt so redest und ich halt so rede. Warum nicht auch auf dem Bildschirm?
Michael: Naja. Ich hätte vermutet, dass damit versteckt wird, dass Massenmedien ganz anders funktionieren, als das bei Buchdruck oder bei Wissenschaft beispielsweise der Fall ist. Dass dort eben nicht gewisse Rationalitätsideale gehalten werden können. Das System der Massenmedien ist sich dessen auch bewusst, dass es nicht mit anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen mithalten kann. Zumindest hat es möglicherweise eine Minderwertigkeitswahrnehmung aus einer Selbstbeschreibung von Massenmedien heraus. Um dennoch eine gesellschaftliche Relevanz aufrecht erhalten zu können, die darin besteht sich einbilden zu können, die Gesellschaft über sich selber zu informieren, muss Professionalitätsmagie aufrecht erhalten werden. Etwa das Anzüge getragen werden. Das ist keine Erfindung der Massenmedien, etwa als Macht- und Herrschaftssymbol, sondern kommt eher aus anderen Funktionssystemen wie der Politik oder Roben, die auch in der Wissenschaft getragen wurden. Eine Amtswürde, die sich auch in Kleidung niederschlägt. Darauf beziehen sich viele Ausrutschervideos über massenmediale Kommunikation. Darauf, dass das äußere Erscheinungsbild nicht perfekt ist.
Klaus: Ja. Was haben Massenmedien eigentlich zu verstecken? Ich möchte vermuten, dass sie zu verheimlichen haben, dass sie schlecht informieren. Ich betone schlecht im Gegensatz etwa zu falsch. Sie verschlechtern die Informationssituation. Das Scheitern an einer guten Informationssituation nehmen sie widerrum zum Anlass ihre eigene Funktionsweise evident zu machen. Am Ende einer jeden Sendung, eines jeden Gespräches, eines jeden Interviews, eines jeden Berichts. Was auch immer gesendet oder geschrieben wird sind alle anderer Meinung oder anders informiert. Das wird festgestellt und abgefragt, also auch durch Umfragen irgendwie geortet. Nachdem man dies festgestellt hat muss man aus diesem Grunde wieder senden oder wieder schreiben. Um ein anderes Beispiel zu nehmen: Stelle Dir vor Du gehst in einen Zirkus oder in eine Zaubervorstellung. In einem Zirkus siehst Du Artisten. Die bewegen sich und springen herum. Die fallen herunter und springen hoch. Die drehen sich in der Luft. Seiltänzer am Trapez. Trampolin, Jonglage, etc. Dir wird immer wieder vor Augen geführt: „Schau mal, es ist alles ganz easy, es ist alles ganz leicht. Es ist alles völlig mühelos und es gelingt immer.“ Du weißt, dass das eine Lüge ist und zwar desshalb, weil Du weißt, dass Du aus diesem Grunde hingehst. Wie der Zauberkünstler. Der lügt ja nicht. Er sagt Dir: „Hokuspokus, weg ist das Ei“ und Du weißt, dass er nur Deine Wahrnehmung ausgetrickst hat. Aus diesem Grunde gibst Du ihm auch noch Geld, also um diese Wahrnehmungsillusion zu erschaffen. Du wärst enttäuscht, würdest Du herausfinden, wie er es macht. Aus diesem Grunde verschweigen sie ihre Tricks. So ist es mit einer Zirkusvorstellung auch. Sie sagen, dass Dir die Illusion gespendet werden soll und Du gehst aus diesem Grunde dahin, geniest die Illusion und bist beeindruckt. Bei den Massenmedien funktioniert das genau andersherum. Sie machen Dir nun eine Illusion – Luhmann nennt das die transzendentale Illusion, die sich selbst real macht. Sie machen Dir eine Illusion, die garkeine ist. Sie machen Dir nur diese massenmediale Kommunikation real. Du hast darauf keinen Zugriff, in dem Sinne, dass Du die Regie oder die Bildführung ändern könntest. Dir wird immer gesagt, das sei die Wirklichkeit und Du hast auf einmal Zweifel. Das ist ja genau der Witz. Der Zauberkünstler sagt, dass es sich um eine Täuschung handelt. Bei den Massenmedien wird Dir gesagt, das sei die Wirklichkeit. Schon hast Du Zweifel. Jetzt auf einmal bist Du nicht mehr bereit, Eintritt zu zahlen oder Dir das gefallen zu lassen. Bei Zirkus- oder Zaubervorstellungen bist Du immer bereit, Dir das gefallen zu lassen. Beim Fernsehen oder beim Radio nicht.
Michael: Was mir dazu einfällt: Dieser Verdacht der Manipulation bezieht sich ja immer darauf, dass da etwas dargestellt wird, etwa eine Bundestagssitzung, und die eigentlichen Entscheidungen hinter vorgehaltener Hand in Geheimtreffen, abgetrennt von der Gesellschaft und von der Berichterstattung der Massenmedien stattfinde. Dass es eine dahinterliegende Realität gibt, die es noch aufzudecken gäbe, die jedoch in der Massenberichterstattug nicht auftaucht, weil da nur der schöne Schein beobachtet werden kann. Wenn man das in Verbindung bringt mit Kritik, die wir vorher besprochen haben: Es kann nicht von einer Freiheit ausgegangen werden, die freie Meinung zu sagen, ohne sich angreifbar zu machen, sondern, das Bild der Manipulation der Massenmedien bezieht sich darauf, von Unfreiheit auszugehen, weshalb die Entscheidung hinter verschlossenen Türen stattfinden müsse.
Klaus: Das ist genau die Behauptung, die sie immer wieder aufstellen und scheitern lassen. Es gibt diese Hinterwelt nicht. Es gibt keine Hinterwelt, sondern nur verschiedene Informationssituationen. Dieser Glaube daran, es gäbe eine Hinterwelt, wird durch die Massenmedien immer und immer wieder verbreitet.
Michael. Ja, aber garnicht aus einer bösen Absicht heraus oder aus Motiven, sondern es ist ein Teil des Settings.
Klaus: Um ihre eigene Selbstreferenz zu verdecken. Das ist was durch diese Professionalitätsmagie verdeckt wird. Die Professionalitätsmagie, das Getue und der kapitalintensive Aufwand, der ja auch sehr disziplinierend wirken muss für die Beteiligten, verdeckt, dass es diese Hinterwelt, von der sie ständig sprechen, nicht gibt. Es geht nur um die Selbstreferenz der massenmedialen Kommunikation und immer wieder wird Dir als Zuschauer der Zweifel darüber eingepflanzt. Der wird immer wieder geäußert und nicht nur das, auch die Journalisten selbst haben Zweifel daran, dass das was sie berichten immer stimmt. Niemand ist über die Lüge der anderer Journalisten so gut informiert wie ein Journalist.
Michael: Da kommt die Unterscheidung zwischen System der Massenmedien und Massenmedien ins Spiel. Mich interessiert, was sich durch die massenmediale Kommunikation ändert, die wir veranstalten. Wir sind in einem Gespräch. Wir kennnen uns und sind möglicherweise auf einer Wahrnehmungsebene, weil wir gleichzeitig sprechen und hören. Soll heißen, unser Gespräch läuft nicht so sequenziert ab, wie das bei schriftlicher Internetkommunikation der Fall ist. Aber auch wir wissen nicht, wer sich das anhören wird, wenn wir das online stellen. Die Zuhörenden haben ja auch nur die gleiche Möglichkeit uns zu beobachten, wie sie auch die Möglichkeit haben Massenmedien zu beobachten. Das Gespräch wird abgespielt in einem Webplayer und man kann es anhören. Dann kann man darüber rätseln, etwa wie gut wir beide uns kennen, oder was wir vor der Sendung möglicherweise besprochen haben und was alles sonst noch abläuft, etwa in welcher Gesprächssituation wir uns über das hörbare hinaus befinden. Wir reproduzieren doch auch nur den Manipulationsverdacht den das System der Massenmedien ebenfalls produziert, oder?
Klaus: Nein und zwar deswegen nicht, weil wir in dem Augenblick, in dem dies tun, also dieses Podcasting, der auf einem Server abgepeichert wird und von Dir und von mir und vielleicht noch anschließend von zwei, drei oder zehn anderen auch noch weiterverbreitet wird, für andere Publizisten publizieren. Wir publizieren für andere Publizisten. Das tut Klaus Kleber nicht. Oder eben diejenigen die Dokumentationen senden, oder Spielshows. Wir publizieren, Du und ich, für andere Publizisten. Wir können dies nur, weil wir über unser Publikum, egal wie groß es ist, nichts wissen. Auch nichts wissen wollen, nichts wissen müssen und nichts wissen brauchen. Wir sprechen einfach, wir zeichnen auf. Wir haben einen ganz geringen organisatorischen Aufwand.
Michael: Heißt das nicht auch, dass der einzige Unterschied zwischen System der Massenmedien und dem was wir als massenmediale Kommunikation veranstalten darin besteht, dass die eine Gewinnabsicht haben, sich also auch refinanzieren müssen und deswegen sich einbilden können über das Publikum etwas wissen zu müssen um deswegen dann auch ihre Sendung auf dieses vermeintliche Publikum hin ausrichten zu können. Ist das tatsächlich der einzige Unterschied?
Klaus: Nein! Sondern wir publizieren für Publizisten. Der Journalist, der Talkmaster im Radio oder im Fernsehen publiziert nicht für Publizisten. Der publiziert für solche, die nicht publizieren können. Deshalb kann der widerum denen plausibel machen, durch Marktforschung, Konsumforschung, durch Umfragen und so etwas, etwas über sein Publikum zu wissen. Was er immer nur weiß, ist etwas über Statistiken. Die Chefredaktion oder der Intendant beim ZDF weiß eigentlich nur etwas über Statistiken. Über sonst weiß er nichts. Das allerdings kann er durch diese Professionalitätsmagie verheimlichen. Damit kann er rechnen, weil alle anderen die Einsprüche haben, die bislang nicht publizierend tätig waren, was sich jetzt ja ändert, keine Möglichkeit haben diese Einsprüche zu publizieren. Wenn sie es tun wollten mussten sie die gleiche Professionalität und auch den gleichen Aufwand an Professionalität erbringen. Das hat am Anfang noch gut geklappt, als das System wachsen konnte. Wenn wie gegenwärtig, was schon seit den 80ern der Fall ist, immer mehr Leute Journalisten werden wollen, immer mehr Leute singen, tanzen hüpfen und was weiß ich was wollen, dann ist es nur noch eine Glücksfrage, wenn es gelingt. Wenn das der Fall ist passiert es irgendwann, dass dann eine Technik in Umlauf kommt, die den so geübten eine Möglichkeit liefert. Nämlich zum Beispiel Internet. Die sind jetzt so geübt, dass sie jetzt schreiben können, sie können sprechen, sie können dumme Witze erzählen, sie können Satiren schreiben oder sie können Interviews führen oder was auch immer. Das tun sie jetzt. Jetzt können wir glauben, es habe vielleicht die konventionelle massenmediale Wirkung und stellen tagtäglich und zwar in jeder Minute, fest, sie hat sie nicht. Denn Du und ich publizieren für Publizisten. Darauf kommt es nicht darauf an, was sie publizieren. Sei es nur, dass sie Retweet machen. Auch das ist eine Publikation und das könnte dann wiederum auch ein Roboter sein. Wir publizieren für Publizisten und beteiligen uns an der Selbstoffenbarung des Publikums, das in dem Augenblick selbst publiziert wird. Das was ehedem für die Massenmedien immer nur so eine Art Umwelt war, über das sie nur kompetent sprechen konnten, weil das Publikum ausgeschaltet war, schaltet sich jetzt selber ein und publiziert sich.
Michael: Wo kommt denn unter solchen Bedingungen die Realitätskonstruktion her? Wenn man davon ausgeht, dass es bis in die 90er Jahre so funktioniert hat, dass man das was man weiß von der Welt aus den Massenmedien weiß. Ich kann mir vorstellen, dass sich an diesem Umstand nichts grundlegendes geändert hat durch diese Form der Möglichkeit für Publizisten publizieren zu können, sondern dass höchstens, um wieder auf diese Programmbereiche zurückzukommen, dass sich an die Programmbereiche der Massenmedien, Werbung, Unterhaltung, Nachrichten, Bericht, zusätzliche Programmbereiche geknüpft haben, die aber auch nur, wenn sie als Programmbereiche erkennbar sind, geeignet sein können als etwas von Interesse wahrgenommen werden zu können.
Klaus: Du meinst, wenn sie die Funktionsweise der konventionellen Massenmedien wiedererkennbar machen?
Michael: Genau. Ich gehe von einer Re-Imprägnierung von Zuständen aus. Das ist das, was Luhmann als Gedächtnis bezeichnet. Das sich immer wieder bestimmte Zustände reproduzieren, ähnlich wie das bei Schrift mit der Semantik der Fall ist. Wenn wir beispielsweise etwas völlig verrücktes machen würden. Ich glaube das können wir nicht so einfach. Dass etwas als Podcast oder als Vlog, oder als Shitstorm wahrgenommen werden kann… Das sind bestimmte Formen, über die man sich mit anderen unterhalten kann. Selbst Leute die noch nie selbst soetwas erlebt haben. Du wirst Dich auch über Podcasts unterhalten können mit Menschen, die noch nie selbst Podcast gehört haben, weil Du dieses Format wirst erklären können. Es fügt sich ganz gut ein. Man kann es gut neben Berichte, Werbung, Unterhaltung, Nachrichten stellen. Es fügt sich eine Reihe fort.
Klaus: Was meinst Du? Willst Du damit sagen, dass ich das Massenmedium selber kennenlernt?
Michael: Ich habe den Eindruck, dass wir es jetzt nicht mehr mit einem System der Massenmedien zu tun haben. Internet ist kein System. Vielleicht aber auch doch. Vielleicht kann man diese ganze Kommunikation auch einem System der Massenmedien zuordnen was sich durch die Auflösung, oder die massive Ausweitung der Unterscheidung von Information und Nichtinformation… es läuft so weit auseinander, dass es fast ins arbiträre geht. Man kann im Internet alles finden. Die Kontingenz dessen ist nicht mehr sehr gut eingeschränkt. Aber es ist nichts grundlegend anders. Es funktioniert noch immer auf Basis des Modus der Selektion von Information / Nichtinformation. Du liest nur die Sachen und folgst nur den Leuten auf Twitter, die für Dich einen Informationswert darstellen, die also für Dich interessant erscheinen. Wenn Du etwas zum fünften mal Retweetet bekommst möchtest Du es schon garnicht mehr hören und bist genervt davon. Insofern funktioniert es nach dem gleichen Modus wie eine Unterhaltungssendung oder eine Werbung im Fernsehen oder eine Berichterstattung. Das wäre meine Vermutung.
Klaus. Insofern ja. Was sich ändert ist, dass diese Verheimlichungsleistung, oder diese Verhinderungs- oder Vermeidungsleistung, die die Massenmedien erbringen gegenwärtig sabotiert wird.
Michael: Ja, auf jeden Fall. Mein Problem ist einfach, dass ich darin keinen Medienwechsel erkenne, der ja oft postuliert wird.
Klaus: Die Luhmannsche Theorie ist zustandegekommen unter einer Bedingung dass einerseits der Professor in seiner Amtsstube sitzt und seine Texte schreibt und woanders findet er dann Verleger die es publizieren, also Massenmedien. In der Vorlesung ist er als öffentliche Person bekannt und in der privaten Stube sitzt er und irritiert sich über diese Dinge, die er hinterher in Zeitschriften, die ja selber auch wiederum durch Massenmedien verbreitet werden, lesen kann. Unter diesen Bedingungen ist das entstanden. Die Luhmannsche Theorie ist entstanden unter der Bedingung, dass der Professor als ein Genie auffällt, das privat studiert und öffentlich wirkt. Das ist der Grund, weshalb der ganze Luhmann nur für diese Luhmannianer interessant ist. Sozusagen: „Wir machen das jetzt auch so!“. Wir machen einfach weiter mit dem Konzept privates, abgeschirmtes, verheimlichtes Studieren und öffentliches Wirken.
Michael: Wen würdest Du denn als Luhmannianer bezeichnen?
Klaus. Das sind Dirk Bäcker, das ist der Peter Fuchs, das ist die Elena Esposito, das ist der Rudolf Stichweh, das ist Armin Nassehi. Das sind diese Schüler, die einfach sagen: „Es ist jetzt leicht geworden, den Unterschied von System und Umwelt zu kommunizieren, weil man einfach zitieren kann. Das machen wir.“.
Michael: Ja, das kann ich schon gut verstehen. Wenn man etwa Dirk Bäcker so beobachtet, der ja auch in die Massenmedien geht. Ich denke, dass er das aus sehr edlen Motiven heraus macht, wahrscheinlich. Aber man sieht ihn nicht beim Denken, sondern man sieht ihn beim wirken. Man vermutet immer, wenn man ihn im Fernsehen oder bei Jung und Naiv oder wo auch immer man ihn beobachten kann, dass das der Modus des „Ich erkläre jetzt etwas“ ist. Die eigentliche Arbeit wird wahrscheinlich in irgendeinem Hinterzimmer, vermutlich in einem Büro stattfinden. Das ist weiter die Fröhung des Geniekultes.
Klaus: Der Dirk Bäcker ist von allen einer der klügeren. Ich würde es so beurteilen, dass er etwas leistet, was gefälligst die Luhmannianer tun sollten und er ist der einzige der es tut. Nämlcih das Gespräch überhaupt freizugeben. Das hat er auch beim Interview von Tilo Jung gesagt, dass es eigentlich albern zu sagen, dass der Professor die Wahrheit bestimmen soll, die der Student oder Doktoranden erkennen sollen. Eigentlich können die ihre eigene Wissenschaft machen. Er hat es nicht wörtlich so gesagt, aber man kann darauf schließen. Professoren sind überflüssig. Das sagt er nicht so, aber in diese Richtung geht es. Es gibt keinen Grund mehr zu sagen, der eine sei klüger oder besser informiert oder genialer. Was er nun macht und das finde ich das schöne daran ist, dass er das Gespräch freigiebt. Das Gespräch freigeben heißt, sich auf diese Art der Kommunikation einzulassen. Das halte ich für wissenschaftlich interessant. Die Freigabe des Gespräches. Nicht etwa so zu tun oder zu sagen ich brauche nur in meine heiligen Texte hineingucken, da steht alles schon geschrieben. Diese Luhmannianer machen das. Es gibt ein paar Leute, da lese ich das. Wenn die das Internet erklären sollen lesen sie bei Luhmann nach. Das ist für mich dumm. Das ist sehr sehr dumm. Die schauen nur in ihre heiligen Texte hinein. Ich wollte noch etwas anderes sagen, was ich gerade vergessen hatte. Nochmal diese Professionalitätsmagie. Was haben Massenmedien zu verstecken? Und was können sie jetzt nicht mehr verstecken? Sie haben zu verstecken, dass die Verlage und Sendeanstalten Machtapparate sind. Sie haben zu verstecken, dass sie selbstreferenzielle Systeme sind. Sie haben zu verstecken, dass sie die Wirklichkeiten, die sie da konstruieren selbst konstruieren. Nicht durch Handlung, sondern die Handlung der Journalisten wird dadurch beobachtbar. Es ist nicht etwa so, dass die Journalisten die Wirklichkeit konstruieren, sondern die massenmediale Wirklichkeit macht Journalisten beobachtbar und deren Handlungen und Meinungen. Nicht andersherum. Das haben sie zu verstecken.
Michael: Meinst Du mit dem letzten Punkt die Unterscheidung zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz? Dass man eben von den Massenmedien tatsächlich sprechen kann?
Klaus: Genau. Sozusagen dass was sie Ehrenkodex nennen. Mit diesem albernen Ehrenkodex der massenmedialen Produktion. Wir sind unabhängig, wir sind neutral, wir sind objektiv, wir sind wirklichkeitsgetreu, wir sind nicht korrupt. Man stellt an jeder Stelle fest, dass es nicht stimmen kann. Nicht dass es eine Lüge ist. Es ist keine Lüge, nur es stimmt etwas nicht. Irgendetwas stimmt da nicht. Denn tatsächlich, sie sind nicht unabhängig, denn von was? Sie sind nicht objektiv, denn nur weil sie darüber berichten, worüber berichtet werden kann heißt das nicht, dass andere Dinge nicht passiert sind. Objektiv gibt es da überhaupt nicht. Sie sind auch nicht nicht korrupt, denn auf irgendeine Weise ist jeder von uns korrupt. Sie sind weder objektiv, noch wirklichkeitsgetreu. Das müssen sie jedoch ständig behaupten: „Es war wirklich so.“. Weshalb dann ja auch diese ganzen Betrügereien die da geschehen nicht zu ihrem Schaden sind. Wenn etwa jemand Bilder digital bearbeitet oder so etwas. Das ist nicht zu ihrem Schaden, denn genau das wird dann ja wieder gesendet. Schön ist das ja mit dieser Lügenpresse. Das Thema kommt auf, die Presse lügt und die Presse berichtet darüber, dass die Presse lügt. Es ist ihr eigentlich ziemlich egal, dass es sich dabei um ein Lügnerparadoxon handelt. Es ist also völlig unglaubwürdig zu sagen, dass die Presse eine Lügenpresse ist. Das ist völlig unglaubwürdig. Genau das ist ihr wiederum egal. Dieser Zirkus erzeugt seine Aporien. Es ist eigentlich egal. Jetzt kommt etwas hinzu, das vielleicht gegenwärtig diese Machtwirkung nicht erreichen kann, nämlich das Internet. Gegenwärtig ist Internet… anders als Bernhard Pörksen das behauptet, der von einer fünften Gewalt spricht. Ich halte das für Quatsch.
Michael: Wieso fünfte Gewalt?
Klaus: Erste Gewalt ist die Legislative, zweite Gewalt die Exekutive, dritte die Judikative und dann kam, ich glaube schon in den 60er oder 70er Jahren die Idee auf, Medien seien die vierte Gewalt. Jetzt kommt er und sagt Internet sei die fünfte Gewalt. Das ist dummes Zeug. Schon die Medien, also die Massenmedien sind keine Staatsgewalt. Das ist noch nichteinmal eine Gewalt. Das ist keine Gewalt, da findet keine Gewalt statt. Da findet zwar Kontrolle statt, aber Kontrolle findet immer statt, wenn soziale Realität sich ereignet. Da wird etwas zu einer vierten Gewalt erklärt, was für die erste, zweite und dritte Gewalt nur eine Staatsgewalt war. Die Massenmedien sind eben nunmal keine Staatsgewalt. Sie sind noch nicht einmal eine Gewalt. Dieser Bernhard Pörksen geht jetzt einfach hin uns sagt Internet ist die fünfte Gewalt. Jetzt komme ich dann mit der sechsten Gewalt und der siebten Gewalt und dann ist es eigentlich auch ziemlich egal.
Michael: Ja. Es macht nicht mehr so viel Sinn das auszuweiten. Das wird auf Bereiche übertragen, wo es ursprünglich nicht hingehörte und wo es völlig seine Aussagekraft verliert.
Klaus: Was haben sie zu verstecken, diese Massenmedien? Sie haben zu verstecken, dass sie schlecht informieren. Und dass sie selber schlecht informiert sind.
Michael: Geht das heute überhaupt noch? Diese Clips von Pannen aus den Tagestehemen, die Du neulich herumgeschickt hattest. Das ist jetzt auch schon ein paar Jahre her. Vielleicht geht das ja heute garnicht mehr?
Klaus: Ja, Internet ist jetzt auf einmal dieser Fallout dieser Schlechtinformation. Jetzt wissen wir es.
Michael: Würdest Du sagen, dass es sich dabei um den Unterschied zwischen erkannt und bekannt handelt? Aus dem Vorwort von Hegels Phänomenologie des Geistes.
Klaus: Klar. Also was ist der Unterschied zwischen bekannten und erkannten Problemen? Das ist der Unterschied zwischen Problem und Lösung. Bislang war immer nur bekannt, dass doch die Informationssituation schlecht ist. Jetzt wird es erkannt. Was ergibt sich jetzt? Die Kommunikation setzt sich einfach fort, aber jetzt nicht nur durch Massenmedien, sondern durch ein Massenmedium für Massenmedien. Das ist Internet. Internet ist ein Massenmedium für Massenmedien. Das Argument stammt nicht von mir, das stammt entweder von Rolf Todesco oder von Ulf Schmidt, also dem Postdramatiker. Einer von beiden hat das mal geschrieben, ich weiß jetzt gerade auswendig nicht mehr von wem. Ich glaube es ist der Ulf Schmidt, also der Postdramatiker der gesagt hat: „Internet ist ein Massenmedium für Massenmedien.“. Jetzt kommen also die Massenmedien zu sich selbst. Und dagegen können diese Machtapparate wie Verlage, genauso wie die Sendeanstalten, nichts machen. Das können wir ablesen an ihren Versuchen es trotzdem zu tun. Ob das nun dieses Leistungsschutzrecht ist oder ob das, was ich neulich gelesen habe, diese VG Wort… Da gab es diese Idee jeden Link kostenpflichtig zu machen.
Michael: Ich kann mir das vorstellen, dass die tatsächlich mit solchen Sachen kommen. Also, dass es nicht nur eine fixe Idee bleibt, sondern dass die das mit aller Gewalt versuchen durchzusetzen. Die Chancen gibt es ja tatsächlich, dass so ein Schwachsinn passiert.
Klaus: Ja. Also ihre Versuche sozusagen gegen diese Einsicht… Weil das im Programm bislang so nicht vorgesehen war. Wenn sich das Publikum selbst publiziert, dann bekommen auf einmal die Massenmedien, die das Publikum bislang ausgeschlossen hatten – weil das Publikum die Massenmedien eingeschaltet hatte, war das Publikum immer eingeschaltet – auf einmal damit zu tun. Jetzt habe ich den Twitteraccount von Jakob Augstein in der gleichen Timeline. Erst kommt Jakob Augstein und dann kommt Michael Karbacher. Er hat 100.000 Follower und Michael Karbacher 60 oder was, aber egal. Einer kommt nach dem anderen. Jetzt spielt diese Information für mich keine Rolle mehr. Oder jedenfalls nicht mehr die wichtigste. Damit können die nichts anfangen. Jetzt suchen sie nach Rettung. Aus diesem Grunde finde ich ja diesen Tilo so interessant. Und jetzt dürfen wir noch über Tilo Jung reden. Weil der nämlich genau sagt: „Pah! Ich beteilige mich nicht mehr an diesem Verstecken.“
Michael: Ja, ich verstehe das. Aber wir bleiben immer so in diesem Blickwinkel von dem System der Massenmedien, insofern als dass wir da draufschauen. Wir wissen immer noch nicht genau, was bedeutet das jetzt letztendlich für andere gesellschaftliche Funktionssyteme. Das Spiel wird ja noch ausgehandelt und da ist noch nicht klar, in welche Richtung das geht. Wir haben ja schon in den letzten 200 Jahren und länger gesehen, wie starke Auswirkungen davon ausgehen können, wenn ein gesellschaftliches Funktionssystem, ich meine die Wirtschaft, eine Übermacht gegenüber allen anderen Funktionssystemen bekommt. Wenn man jetzt beobachten kann, dass es dieses System der Massenmedien gibt, was selbst durch dieses Internet und die Ausweitung massenmedialer Kommunikation einen Schub bekommt. Kann das überhaupt gut gehen?
Klaus: Naja, was heißt gut gehen. Also ich meine, diejenigen, die nicht die Bereitschaft haben auf Lernen umzustellen sind die Verlierer. Diejenigen, die soetwas sagen erscheinen zunächst selbst als die Verlierer. Weil sie eben sagen: „Also ich habe nicht mehr die Bereitschaft, diesen bekannten Routinen und Konventionen zu vertrauen.“ Und wenn ich nun sage, wir sollten lernen und wir können lernen dann würde erstmal jemand sagen: „Was willst Du eigentlich sagen?“. Ich weiß es auch nicht so genau. Ich bin erstmal schlecht informiert. Ich weiß nicht viel, ich kann nicht viel und dann ist das erstmal nicht sehr vertrauenswürdig und auch erstmal keine Erfolgsstrategie, denn es geht ja am Ende auch immer um Lebenschancen und deshalb finde ich Tilo so interessant.
Michael: Ja, ich finde das auch toll. Der ist gerade in den USA und macht ein Interview mit Noam Chomsky. Das ist schon was besonderes.
Klaus: Er macht das Gelingen seines Lebens, also Miete, Wohnung, Krankenversicherung und Essen und Trinken und auch noch das Klopapier und auch das ist ja ziemlich wichtig, davon abhängig, dass es zufällig gelingt.
Michael: Das macht Stefan Schulz ja auch im Prinzip.
Klaus: Ja, aber ich finde, ehrlich mal gesagt, ich finde sowas… Ich meine, sicher, sowas können gegenwärtig nur Leute machen die jung sind und gesund. Also die nicht nur jung und naiv, sondern jung und gesund. Das ist er sicher und das ist ihm auch zu gönnen. Aber ich finde das schon toll. Mach mal Dein Leben davon abhängig, dass es zufällig gelingt. Der Tilo verkauft nichts. Das ist so. Der verbreitet seine Filme an jeden, der sie sehen will. Daran knüpfen sich keine Verträge, keine Versprechungen, keine Mahnungen.
Michael: Ich verstehe das. Ich finde das auch sehr sehr gut. Was ich mich ein bischen Frage ist, was ist denn, wenn ich garkeine Lust habe auf diesen Austausch die ganze Zeit? Dieses permanente… Der muss natürlich auch eine Rampensau sein, ohne geht es nicht. Du musst Dich hinstellen, Du musst anderen Leuten etwas erzählen und Du musst dann auch damit fertig werden, wenn die dann plötzlich eine eigene Meinung haben. Ganz oft geht es mir persönlich so. Ich merke Hürden. Ich habe etwa eine Hürde festgestellt, als ich angefangen habe Dirk Bäcker zu lesen. Da hatte ich erstmal keine Lust dazu. Es fängt schon so an, dass er sich über eine Zukunftsperspektive auslässt und dann denke ich mir schon mal: „Also das ist doch überhaupt nicht wissenschaftlich, über eine Zukunftsperspektive zu sprechen. Das ist doch Blödsinn.“. Das erste mal, als ich in sein Buch „Studien zur nächsten Gesellschaft“ hereingeschaut habe kam auch gleich auf der zweiten Seite ein Formkalkül und zu dem damaligen Zeitpunkt, vor einigen Jahren, hatte ich damit noch nicht so die Berührung und habe das nicht verstanden. Ich war sofort abgeturnt, habe das Buch weggelegt und dann drei Jahre nicht mehr angeschaut. Über diese Überwindungen hatten wir schonmal gesprochen. Es ist schwierig. Da muss man auch hineingeboren werden in die Möglichkeit des große Klappe habens. Es ist nicht so, dass bestimmte Fähigkeiten sich entwickelt werden unter diesen Bedingungen, die dann auf eine bestimmte Art und Weise genutzt werden, die sehr positiv ist. Sondern es ist so, dass diese ganzen Voraussetzungen immer schon vorhanden sein müssen. Deswegen ist es auch schwierig, daraus eine Idealvorstellung zu machen. Entweder soetwas geht, oder es geht nicht. Das liegt auch nicht nur daran, die Bedingungen dessen zu erforschen, auch wenn wir das können. Ich glaube das können wir schon. Es gibt bestimmte Möglichkeiten Sachen zu sehen, die sich verändern, die möglicherweise auch ein Universitätssystem nicht so einfach sehen kann, weil die in einem ganz anderen Modus operieren und weil es da auch die ganze Zeit um die Frage der Weiterfinanzierung geht und der Weiterbeschäftigung an der Universität und des Austarierens des zur Verfügung stehens von Projektgeldern. Weil es ja auch so unglaublich prekär ist, wie es an Universitäten abläuft. Aber nur aus diesem Wissen um Strukturen und die Bedinung der Möglichkeit dessen, dass das funktioniert, damit kannst Du nichts anfangen. Das hilft Dir nichts.
Klaus: Du hast Recht. Das stimmt auch. Es ist schwierig. Die Ausgangsvoraussetzungen sind schwierig, die sind kompliziert und die sind auch sehr entmutigend teilweise.
Michael: Insofern würde ich auch Stefan Schulz rechtgeben, der ja zu Dir sagt, Du sollst das mit Tilo Jung und Jung und Naiv nicht überhöhen. Ich finde das zwar super und finde man sollte das an jeder Stelle unterstützen, ich habe auch schon mal an Aufwachenpodcast ein bischen Geld gespendet als ich das übrig hatte. Auf jeden Fall, unbedingt. Aber was hilfts?
Klaus: Das ist eine Heuchelei von Stefan. Er heuchelt, weil er tut es selber doch auch. Er macht doch mit dem Tilo ein schönes Duett, da in diesem Aufwachen! Podcast. Er hat nur eine andere Art und Weise des Sprechens darüber. Ich sage dogmatisch und apodiktisch, wir sind in einer Lernsituation. Du musst das nicht akzeptieren, sage ich apodiktisch. Du kannst auch einfach Deinen Stiefel weiter machen. Aber wer die Bereitschaft hat zu Lernen und wer die Bereitschaft sich beeindrucken zu lassen soll darüber dann auch sprechen. Wo kann ich denn was lernen? Wo sind denn Dinge von denen ich etwas lernen kann? Wo ist denn da etwas? Da finde ich nicht viel. Dann finde ich nicht so viel. Dann ist Tilo einer der Wenigen und zwar deshalb: Wenn man sich diese ganzen Youtuber anguckt… dieser Tilo Jung, dieser junge Mann da. Dass der erfolgreich ist, ist Zufall. Das hat keinen besonderen Grund. Er unterscheidet sich in einer Hinsicht von diesen vielen Youtubern da, denn dass er diese Sehgewohnheiten, Sprechgewohnheiten, Bewegungsgewohnheiten, die sie eben aus Massenmedien kennen, jetzt in den Videos selber noch einmal zeigt. Diese sind aus diesem Grunde sehr peinlich, diese vielen Youtuber da. Sie reden, oder sie gestikulieren wie Rapper, oder wie Models, diese Hübschen bei Heidi Klum oder wie sie alle heißen. Sie bewegen sich so, sie reden so…
Michael: Du meinst, sie (die Youtuber) imitieren etwas sehr spezifisches und deshalb wirkt es lächerlich. Tilo Jung ist originell?
Klaus: Nein. Die meisten Youtuber spielen Massenmedien nach. Tilo ist nun einer der sagt, dass er das auch macht, aber er kümmert sich nicht um die Professionalitätsmagie. Es gibt ein paar Interviews, die sind grottenschlecht. Mit allem was man dazu sagen kann. Das letzte Interview, abgesehen vom Münkler Interview, worüber ich nachdenken musste war das Interview mit Peter Altmeier. Wenn man sich dieses anguckt, der verstößt so ziemlich gegen alle Regeln, die es gibt bei den Massenmedien, oder bei der Journalistenausbildung. Wie der da sitzt… Tilo selber dreht der Kamera den Rücken zu. Dieser Altmeier sitzt da breitbeinig. Ich glaube mit verschränkten Armen. Wie so ein Riesenbaby. Nicht geschminkt. Kein Puder. Schlechtes Licht… Gegen jede Regel zu verstoßen, die ein Fernsehjournalist kennt, so etwas bekommst Du in einem Machtapparat nicht untergebracht. Das interessante ist ja, dass dieser Peter Altmeier bei diesem Interview das mitmacht. Der sieht wirklich schlecht aus. Der macht eine schlechte Figur in diesem Interview. So etwas macht Tilo. Der stellt auch keine kritische Fragen und so ein Quatsch. Warum auch? Was soll denn der Quatsch noch? Was soll es denn noch?
Michael: Das ist ja eine Frage, die man auch auf die grundsätzliche Berichterstattung anwenden kann. Wieso sollst Du denn überhaupt noch Politiker interviewen? Möchtest Du das hören, was irgendein Politik erzählt? Jetzt haben wir gerade die Situation, dass in den USA Donald Trump und Hillary Clinton gegeneinander antreten und auch wenn das mit uns scheinbar zunächst nichts zu tun hat, ich glaube schon dass wir langsam an einem Punkt sind, wo selbst die Berichterstattung darüber doch eingentlich nicht mehr ernst genommen werden kann. Das grundsätzliche daran.
Klaus. Ja. Ich glaube, dass der Tilo so etwas beobachtbar machen kann. Ob das jetzt nun genau mit diesem Interview, oder anderen, das würde ich jetzt bezweifeln, aber im Prinzip ist Tilo jemand von dem man etwas lernen kann. Hat er eigentlich diesen Peter Altmeier da vorgeführt? Hat er ihn der Lächerlichkeit preisgegeben? Ist das so? Dann würde ich sagen: „Nein, so ist es auch nun wieder nicht.“, sondern er zeigt etwas, er lässt etwas zu. Das kann er ja machen, weil Tilo ja selber eine hohe Prominenz hat. Jetzt auf einmal können wir, wenn wir diese ganze Professionalitätsmagie weglassen auf einmal sagen: „Naja, wieso kann man nicht auch anders über diesen Peter Altmeier reden?“. Sagen wir im Sinne einer Versachlichung. Was soll denn auch so ein Kanzleramtsminister leisten können? Was soll er denn auch? Wie mächtig ist er denn? Was kann denn ein Politiker? Wie mächtig ist ein Politiker? Auf einmal kann man feststellen, vielleicht doch nicht so sehr. Das ist deutlich geworden, als er diesen Bodo Ramelow interviewt hatte. Da hat er ihm diese ganz blöde, aber sehr ernstzunehmende Frage gestellt. Wer bist Du? – Ich bin Bodo Ramelow. – Was machst Du? – Ich bin Ministerpräsident von Thüringen. Dann fragt Tilo: „Ist das was besonderes?“ und schon merkst Du, dass der Bodo Ramelow stutzt. In dem Augenblick merkt man, wo man diese Professionalitätsmagie mal weglässt, man sieht deutlich, dass er stutzt, bei der Frage, ob das was besonderes ist. Denn die Frage mag naiv gestellt sein, aber so naiv ist sie nicht, denn die Frage kann man ganz ernsthaft stellen. Was hat ein Politiker in dieser Welt zu sagen? Diese Angela Merkel oder dieser Horst Seehofer. Von welcher Bedeutung sind die eigentlich für unser leben, wenn wir es mal sachlich betrachten. Dann stellen wir auf einmal fest, so groß ist das nicht, so viel ist das nicht.
Michael: Vielleicht ist das auch schon garnicht mehr interessant aus Perspektive einer öffentlichen Wahrnehmung, sondern vielleicht wird ja auch deswegen diese Gefahr der AfD so in den Fokus gesetzt, weil diese Angst vor drittem Reich und Nationalsozialismus das einzige ist, was überhaupt noch eine ernste Gefahr darstellt aus Perspektive einer Öffentlichkeitswahrnehmung. Vielleicht ist das der letzte verbliebene Unterschied der noch aquiriert werden muss, weil man sich etwas schlimmeres als Nazis als Politik nicht vorstellen kann. Vielleicht ist das schon ein Zeichen dafür, dass es auf die absolute Zuspitzung zuläuft. Der letzte Buhmann den man noch haben kann. Dann muss man sich eben so eine rechte Partei als massenmediales System nochmal ranziehen um dann nochmal die letzten Aggressions- und Aufrüttungsreserven der Gesellschaft aufzuwiegeln.
Klaus: Finde ich eine interessante Interpretation. So eine Art Immunisierungsleistung der Massenmedien. Wir lassen es zu, dass ein Nationalismus reaktiviert wird, der ja ganz anders ist.
Michael: Das wird ja diskutiert, das den Massenmedien im Prinzip nichts besseres passieren kann, als eine AfD. Es ist auch kommunikabel, dass die Massenmedien selbst dafür verantwortlich sind, dass die AfD gute Wahlergebnisse einfängt.
Klaus: Ja, weil dieser Nationalismus, das was darüber berichtet wird, im Grunde genommen nur Geschrei ist. Sie wollen ja nichts mehr. Die alten Faschisten hatten noch etwas vor.
Michael. Genau. Ausserdem wäre es auch mal eine Frage, der man sich wissenschaftlich nähern kann, wieviel Angst muss man tatsächlich haben vor einer Wiederbelebung des Nationalsozialismus in Deutschland. Ist es nicht tatsächlich auf Strukturen in der Gesellschaft zurückführbar, dass so etwas damals möglich war und dass es heute nicht möglich ist, weil wir heute das Grundgesetz haben und verschiedene andere Sachen und ganz andere gesellschaftliche Bedinungen aus denen heraus das heute so nicht mehr stattfinden kann. Und dass die Gefahr eines Nationalsozialismus nichts damit zu tun hat, mit Berichterstattung und Wahlergebnissen. Selbst wenn die AfD mit 90% in den Bundestag gewählt werden würde, oder mit 99,9%, wir hätten keine Nazidiktatur in den darauffolgenden Jahren. Davon bin ich ziemlich überzeugt.
Klaus: Naja. Die Nazidiktatur geht ja nur durch einen autoritären Staat. Ein autoritärer Staat kann, wenn er erstmal abgeschafft ist, nicht wieder eingeführt werden. Was eingeführt werden kann ist sozusagen ein Staat der sagt: „Wir lassen jede Meinung zu, aber wir setzen alles unter eine Finanzdiktatur.“. Eine Finanzdiktatur ist möglich. Daran wird ja auch gearbeitet und die wird auch kommen. Dann ist es aber eben keine nationale Finanzdiktatur, sondern eine europäische.
Michael: Wie meinst Du das? Die Idee, dass auch Unternehmen Geld verleihen können?
Klaus: Nein, dass der Finanzminister sagt, er bestimmt die Regeln der Politik. Und ein Wahn des Einsparens und rücksichtslose Durchsetzung der Politik gegen alles, was ein Staat an Fürsorge und an Daseinsvorsorge leistet. Rücksichtslos, wie das in Griechenland passiert. Da werden einfach rücksichtslos die Menschen in die Armut zurückgetrieben.
Michael: Das funktioniert aber auch nur über Nein sagen. Also nicht über Investitionen, sondern der Ablehnung von Handlungsspielraum.
Klaus: Genau. Es funktioniert nur über Nein sagen, so würde ich das auch sehen und das ist steigerbar gegenwärtig. Was wir erleben ist glaube ich nicht der Höhepunkt der Entwicklung, sondern eine Erfolgsstrategie. Es funktioniert eben. Es lässt sich durchsetzen. In Spanien, Italien wird berichtet, 50% Jugendarbeitslosigkeit. Das nicht nur für ein halbes Jahr, sondern für Jahre. Über Jahre hinweg. Das bedeutet, es gibt 20 bis 30 Jährige, die praktisch keine Lebensperspektive mehr haben. 50 % Jugendsarbeitslosigkeit über 10, 15 Jahre hinweg. Also das ist schon krass. Aber ich sehe es nicht so pessimistisch. Ich sehe, es gibt eben auch Auswege. Wenn da irgendwo ein ganz großer Block steht der sagt: „Nein, hier geht es nicht weiter. Hier ist eine ganz große Mauer. Hier geht es auf keinen Fall weiter.“, dann will ich nicht so pessimistisch sein zu sagen, es ginge keine Alternative. Man müsse durch diese Mauer durch. Warum? Wenn diese Mauer eben unüberwindbar ist, dann müssen eben, wenn auch aufwendig, wenn auch mit viel Hirnschmalz und viel Aktivität und auch mit viel überflüssiger Aktivität, aber es müsen eben Umwege gebaut werden. Ich glaube, dass wir genau in dieser Situation sind, dass wir eben jetzt ein Medium für Kommunikation haben – das ist das Internet – das eben solche Umwegfindungen ermöglicht. Die Frage ist eben nur, kann das intelligent genutzt werden. Gegenwärtig nicht. Gegenwärtig ist sozusagen dieser Block, der da hergestellt wird und dieses Neinsagen genau so stabil wie die Immunisierung gegen dieses Medium für Kommunikation. Was sich niederschlägt in Hass und Hetze und die Empörung darüber, die ja genauso Hass und Hetze ist.
Michael: Das finde ich eigentlich auch eine interessante Frage. Vielleicht ist ja Hass auch nicht so schlimm. Wenn man auch mal unterscheidet zwischen Hass und Gewalt und es nicht gleichsetzt und es nicht damit in Verbindung bringt… es gab ja neulich auch einen Fall wo eine Frau ihren Twitteraccount gelöscht hatte und danach in der FAZ oder Süddeutschen Zeitung einen Artikel geschrieben hat, weil sie sich bedroht gefühlt hat und die Angst hatte, dass ihre Kinder entführt werden, oder was auch immer sie sich für horrorszenarien ausgemalt hat, die aber alle nur in ihrem Kopf stattgefunden haben und wo man nicht so einfach sagen kann, dass es eine mögliche Gefahr ist. Schwierig. Ich kann mir auch schon vorstellen, dass Hass auch potenziell geeignet ist um Gewalt zu verhindern. Ich merke das auch in letzter Zeit, als ich etwas befreiter getwittert habe. Wenn da von jemand ein blöder Kommentar kommt und ich ihm befreit die Meinung sagen kann ist das ein positives Gefühl. Deswegen habe ich nicht den Eindruck, dass ich Leute hasse deswegen oder dass ich denen was böses möchte, sondern es macht einfach einen Unterschied. Genauso wie man ja auch einen höflichen, freundlichen Umgang miteinander pflegt, wenn man etwa zu einem Vorstellungsgespräch geht oder ähnliches. Genauso würde man zu Hause im Kreis seiner Familie dann eben möglicherweise eine deftigere oder eben markanter formulieren.
Klaus: Ich würde das anders sehen. Das was diese Art von Kommunikation provoziert und die Frage stellt die sagt für Kommunikation: Inwieweit bist Du bereit, Dich auf diese Provokation einzulassen lautet nämlich: Wie glaubwürdig ist das eigentlich alles, was gesagt oder geschrieben, bzw. gepostet oder gesendet wird. Wie glaubwürdig ist das eigentlich? Ich würde sagen: Das allermeiste nicht und dann eben auch nicht der Hass. Der ist eben auch so glaubwürdig. Ich würde es sofort glauben, dass mindestens die Hälfte, wenn nicht mehr, derjenigen, die Hass und Ekel absenden genauso die Bereitschaft haben Geld zu spenden, wenn es darum geht irgendwo bei einem Oder Hochwasser zu helfen oder bei einer Hochwasserkatastrophe… also die ganz schnell die Bereitschaft haben auch den Menschen, die sie nicht kennen, die sie nicht kennenlernen wollen, auch zu helfen.
Michael: Genau das würde ich auch sagen, nämlich dass es sich eben nicht ausschließt. Ein total guter Mensch zu sein und nebenbei ein bischen zu trollen auf Twitter. 100%ig.
Klaus: Ich habe irgendwann mal geschrieben, es ist schon länger her, da habe ich dieses Bild gesehen, da hat ein Pappa, der aussah wie ein Typ von einer Rockerbande, ein Baby gewickelt. Da bin ich auf die Idee gekommen: „Klar, zuerst einen Hasskommentar schreiben und dann ein Baby wickeln.“.
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